Erleuchtung
Auch auf dem spirituellen Weg verbindet jeder Mensch seine persönlichen Wünsche und Vorstellungen mit persönlicher Heilung an Körper und Seele, Erlösung, Erleuchtung, vielleicht sogar Unsterblichkeit. Die meisten Lehren betonen jedoch, dass Persönliches im Zusammenhang mit einem spirituellen Weg eine zu begrenzte und lineare Sicht der Dinge sei und der „Sinn des Lebens“ womöglich kein Selbstzweck sei, sondern eingebunden in einen umfassenderen Sinn. Ohne Loslassen persönlicher Egozentriertheit ist Erleuchtung nicht möglich.
Es wird auch gelehrt, dass sich der Mensch inmitten einer kosmischen Dramatik, Dynamik und Vernetzung befindet, die vom Einzelnen mehr verlangt als individuelle Vervollkommnung oder persönliches Wachstum. Ganzheit ist ein dynamischer, kein statischer Prozess und eigentlich nie vollendet. Das gilt auch für das Konzept der Erleuchtung. Erleuchtung ist nicht das Ende, sondern der Anfang einer Entwicklung. Der japan. Begriff → Satori bedeutet nicht, wie manchmal übersetzt „Erleuchtung“, sondern „Öffnung des geistigen Auges“.
Erleuchtung kann eine überwältigende Erfahrung sein, die den Sucher an die Grenzen des Geistes bringt. Geschieht dies in einer Gruppe oder in Anwesenheit eines Lehrers, so ist der Sucher schnell bereit, seine Erfahrung kausal auf diese Gruppe oder den Lehrer zu beziehen, was in vielen Fällen zu unnötiger Abhängigkeit führt. Wenn der Sucher hier anhält, begrenzt er seinen Horizont und geht möglicherweise nur einen Teil der Wegstrecke. Sri Aurobindo, der selbst viele Erleuchtungserfahrungen gemacht hat, betont immer wieder, dass dies nicht das Ende des Weges sei. Vielmehr sei die Erleuchtung eine Erfahrung der Loslösung von den Bewegungen und Verhaftungen der „niederen Natur“ des Menschen.
In Sri Aurobindos Lehre und auch der anderer Erleuchteter kommt die Erkenntnis zum Ausdruck, dass es nicht darum geht, den Menschen von der Erde in einen Bereich des → Nirwana emporzuheben, von dem er nicht zurückkehrt. Das Ziel der Schöpfung und Evolution, wofür die Natur Jahrmillionen gearbeitet hat, war es sicherlich nicht, dass sich der Mensch einfach davon zurückzieht, sondern sich seiner Mitverantwortung am Prozess der → Bewusstseinsevolution stellt.
Es gibt viele Berichte von Erleuchteten, die sich aus den Verstrickungen der Welt zurückzogen. Sri Aurobindo hat dies auch getan. Möglicherweise erfüllen diese besonderen Menschen eine wichtige Aufgabe für die Entwicklung des Bewusstseinsfeldes der Erde und unseres Sonnensystems – „sie halten die Sterne auf ihrer Bahn“, wie ein Weiser es ausdrückte. Für die meisten Menschen unserer westlichen Welt jedoch liegt die kreative Herausforderung darin, in der Welt zu sein und dennoch an der inneren Entfaltung zu arbeiten. Wenn diese Spannung zwischen Außen- und Innenwelt gemeistert wird, erzeugt dies ungeahnte Energie für das seelische Wachstum. Erleuchtungserfahrungen sind immer wieder neue Impulse, um den Weg der harmonischen Entfaltung fortzusetzen und nicht stehen zu bleiben.