Augenblick, Übung des gegenwärtigen Augenblicks
Der Sufi (→ Sufismus) Hodscha Faghnawi (gest. 1272) lehrte zum ersten Mal die „Übung des gegenwärtigen Augenblicks“ (sikr-i alaniyya). Auf die Frage, warum er eine Neuerung einführe, sagte er: „Die Menschen leben in einem Traum, dies soll sie aufwecken.“ Die wesentlichen Aspekte dieser Schulung wurden jedoch bereits von Abd al-Khaliq Gudschduwani (gest. 1220) formuliert:
1. Atme jeden Augenblick bewusst. Lass deine Aufmerksamkeit keinen einzigen Atemzug abschweifen. Erinnere dich immer und in allen Situationen an dein Gegenwärtigsein. Diese Anleitungen für die Atemkontrolle werden ergänzt durch den Dhikr (sufische → Mantras).
2. Halte dir deine Absicht bei jedem deiner Schritte vor Augen. Dein Ziel ist die Befreiung, und das solltest du nie vergessen. (Diese Übung ist vergleichbar mit der buddhist. → Vipassana-Meditation.)
3. Erinnere dich, dass dich deine Reise aus der Welt der Erscheinungen in deine Heimat der Welt der Wirklichkeit führen soll.
4. Bleibe bei all deiner äußeren Aktivität innerlich frei. Lerne, dich mit nichts und niemandem zu identifizieren.
5. Erinnere dich an deinen Freund, d.h. Gott. Lass das Gebet der Zunge das deines Herzens sein. Hiermit ist besonders das → Wazifa gemeint, vergleichbar mit dem ostchristlichen → Herzensgebet. Hierzu zählt auch die Naqschibandi-Technik der Konzentration des Dhikr auf die → Latifas, die feinstofflichen Zentren.
6. Kehre zu Gott zurück. Es gibt kein anderes Ziel als die Realität.
7. Bleibe wachsam. Kämpfe mit allen fremden Gedanken. Behalte im Geist, was du tust, innerlich wie äußerlich. Werde dir gewahr, was deine Aufmerksamkeit festhält. Die Übung der Selbsterinnerung
(→ Gurdjieff).
8. Sammlung. Sei dir andauernd der Qualität der göttlichen Gegenwart gewahr. Der „Verlust des Selbst“ (Ego) macht es möglich, an einer größeren Wirklichkeit teilzuhaben.