Maria
„Die Väter der christl. Kirche setzten der Verehrung Marias erheblichen Widerstand entgegen, denn sie waren sich darüber im klaren, dass Maria aus einer Mischung verschiedener althergebrachter → Göttinnen bestand; zu diesen Göttinnen gehörte Mariamne, die semitische Gottesmutter und Himmelskönigen, Aphrodite-Mari, die syrische Version von Ishtar, Juno, die gesegnete Jungfrau, Isis als Stella Maris … und viele andere.“ (Barbara Walker 1993)
Christa Mulack weist nach, wie die alte Göttin durch die spätere Marienverehrung in der katholischen Kirche dem Christentum einverleibt wurde und wie sich das Verständnis der „Jungfrau“ und „Mutter“ Maria gewandelt hat:
„Als Himmelskönigin kann Maria uns Frauen helfen, unseren spezifischen weiblichen Erfahrungen mit dem Göttlichen Ausdruck zu verleihen. In ihr finden wir ein christlich legitimiertes Symbol, das das weibliche Antlitz der Gottheit offenbart. Es ist Trägerin jahrtausendealter weiblicher Potenzen, die nicht nur dazu angetan sind, der Frau ein stärkeres Selbstwertgefühl zu vermitteln, sondern die ebenso die männliche Einseitigkeit der patriarchalen Gottesvorstellung in Frage stellen und überwinden helfen und damit letztlich die Auferstehung der religiös mündigen Frau auf breiterer Ebene einleiten.“ (Christa Mulack 1985, 238)
Das Christentum rückte zu keiner Zeit freiwillig von seinem patriarchalischen Verständnis ab. So verstrickte sich die Kirche in den Widerspruch, dass Maria einerseits „Muttergottes“ sei, andererseits aber nicht göttlich. Aber wer kann göttlicher sein als die „Mutter Gottes“? Die „Tarot-Bibel“, führt Barbara Walker aus, setzte klare Akzente:
„Auch im → Tarot erschien diese Göttin wieder als das höchste ‚größte Geheimnis’; sie ist umgeben von den Symbolen der Jahreszeiten; sie zeigt die Stäbe der Macht und tanzt den Tanz des Lebens; eine weitere Darstellung des archetypischen, unauslöschlichen Bildes im Geist jedes Kindes der Mutter. Trotz aller Anstrengungen patriarchalischer Glaubensinstitutionen in der ganzen Welt scheint ihr Bild bis zum heutigen Tage noch nicht ausgelöscht zu sein. … In jedem Fall war die letzte Enthüllung der Großen Arkana [→ Tarot] mit Sicherheit keine christliche Gottheit – nicht einmal eine neochristliche Version der Großen Mutter. Die himmlische Jungfrau der mittelalterlichen Kirche erschien niemals nackt. Die unbekleidete Göttin jedoch war ein grundlegendes Symbol der Schöpfung und Neuschöpfung, und deren ewiger Kreislauf darf nicht anhand der christlichen Kosmologie mit ihrer einseitigen, linearen Zeitvorstellung interpretiert werden. Das Tarot scheint viel eher darauf hinzuweisen, dass die Weltseele und der Weltenschoß essentiell identisch sind. Der die Göttin umgebende Mandorlakranz war ein verbreitetes Schoßsymbol und führt zur nächsten Karte, Der Narr, ein Symbol des neugeborenen Kindes. In der Tat stellt dies einen Bezug zur alten → Reinkarnationslehre her, jener Vorstellung einer Wiedergeburt, die den patriarchalischen Religionssystemen fremd war und die sie bekämpften, denn ihr Glauben erforderte ‚Dauerhaftigkeit und nicht Veränderung, Ewigkeit und nicht Transformation, Gesetze und nicht kreative Spontaneität’. Das Patriarchat verformte die Große Mutter in eine Dämonin, weil sie sowohl des Menschen ‚Vernichtung’ als auch dessen ‚Erschaffung’ bedeutete.“ (Barbara Walker 1994, 175)