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Schamanismus, Nordamerika

Das Weltbild der indigenen Völker Nordamerikas gründet sich bis heute in seinem Kern auf die ganzheitliche Weltsicht der Verbundenheit aller Lebewesen miteinander, der Verwandtschaft von Mensch und Tier, der Beseeltheit der Natur, der Vorstellung von einem „großen Schöpfergeist“. Um 13 000 v.u.Z. kamen die Menschen der first nation (so nennen sich die amerikanischen Ureinwohner heute) aller Wahrscheinlichkeit nach von Asien aus über eine Landbrücke bei der Beringstraße oder in Booten entlang der Küste nach Nordamerika. In den heutigen USA besitzen die indigenen Völker nur noch 2,3 Prozent der Gesamtfläche, und viele leben in urbanen Gebieten außerhalb der Reservationen.
In Nordamerika gibt es ca. 200 verschiedene Sprachen, was auf die teilweise großen Unterschiede zwischen den einzelnen Kulturen hinweist. Je nachdem, ob die Völker Jäger oder Pflanzer waren, wurde ihr spirituelles Leben bei den Jägervölkern von einem Schamanen geführt – einem Menschen, der seine besonderen Fähigkeiten durch Berufung, persönliche Krise oder Initiationserleben aus eigener Kraft und nur mit Hilfe seiner Schutzgeister erlangt hatte – oder bei den Pflanzervölkern von einer Art Priester, einem zeremoniell eingesetzten Mitglied einer anerkannten religiösen Organisation (Puebloindianer, z.B. Hopi, Zuni). Der „Zauberpriester“ war für die Einhaltung der Vorschriften bei Zeremonien– z.B. dem Sonnentanz – zuständig, gab die mündlich überlieferten Mythen und Traditionen weiter und achtete auf Erhalt und Weitergabe der Rituale.
Der Schamanismus der Jägervölker Nordamerikas ähnelt dem Schamanismus der Völker Sibiriens sehr: Der Schamane hat hier wie dort eine von den Geistern der Tiere und der Ahnen unterstützte Macht und kann zum Wohl und zum Schaden der Gemeinschaft auf die Natur einwirken. Fasten, Rückzug, der Besuch der Schwitzhütte und → Visionssuche sind seine Wege der inneren Erfahrung zur Erlangung von Wissen und Visionen. Ein Medizinmann ist übrigens kein Schamane. Er ist ein Heiler wie auch der Schamane, unternimmt aber keine „Seelenreisen“, wie sie für die Arbeit eines Schamanen charakteristisch sind.
Das enge Verhältnis zum Tier spiegelt sich in Tiertänzen, der Wirklichkeit von Tiergeistern und der Zuordnung zu bestimmten Tieren als persönlichem Schutzgeist („Tiertotems“) wider. „Hl. Rauch“ bestimmter Pflanzen (z.B. Salbei, Beifuß) und „hl. Tabak“ in besonderen Pfeifenzeremonien bewirken die Kontaktaufnahme zu Geistern und Ahnen oder sind Dankopfer an den Großen Geist.
So groß wie die Unterschiede in Glaubensvorstellungen und Sprachen sind auch die Bezeichnungen für den Großen Geist. Ein Beispiel soll herausgegriffen werden: In der Sprache der Lakota (im Nordwesten der heutigen USA) ist Wakan das große All oder der Große Geist. Dieser manifestiert sich als Zweiheit: Wakan, die Urmutter der Welt, die leitende Leere oder der unendliche Urgrund, und Skwan, der Urvater, die heilige Schöpfung, das Wesen des Endlichen. Die Schöpfung ist der Urvater, der dauernd von der Urmutter erzeugt wird. Die dauernde Verwandlung von der Urmutter zum Urvater geschieht für uns Menschen in der Bewusstseinsmitte, unserem → Selbst. Wenn wir die Mitte verlassen, um in der äußeren Welt zu handeln, brauchen wir eine bewusste Beziehung zwischen der materiellen und der spirituellen Welt. Symbolisch wird Wakan als leerer Kreis dargestellt und Skwan als Spirale (→ Taoismus).

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