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Schulen des Augenblicks

Schulen des → Augenblicks gibt es innerhalb vieler spiritueller Traditionen. Aber nicht alle bekannte Traditionen, die als Schule des Augenblicks gelten, sind es auch. Es gibt ebenso starre → zen-buddhist. Schulen wie starre → Sufi-Schulen.
Eine besondere Linie dieser Schulen verschiedenster Traditionen lässt sich unter dem Oberbegriff der „hl. Verrücktheit“ oder „verrückten Weisheit“ zusammenfassen.

„Um spirituelle Wahrheiten zu vermitteln, greifen jene Meister häufig zu sehr unkonventionellen Mitteln, die man von religiösen Menschen nicht erwarten würde. So benutzen sie z.B. Alkohol sowie Drogen aller Art und Sexualität für die religiöse Unterweisung. Ob sie in der Gosse oder im größten Luxus leben, ist ihnen gleichgültig, und ihr nach konventionellen Maßstäben oft unerhörtes Verhalten entspricht meist ganz und gar nicht unseren lieb gewonnenen Vorstellungen von Religion, Moral und Heiligkeit.“ (Georg Feuerstein 1996)

In einer Schule des Augenblicks geht es immer um die direkte Wahrnehmung der Wirklichkeit des Seins ohne Schnörkel und umständliche Ritualisierungen. Doch man sollte sich nicht vom Schein täuschen lassen. Wenn z.B. Schamanen (→ Schamanismus) farbenfrohe Kleidung tragen und mit viel Tamtam Rituale durchführen, heißt das nicht, dass sie formal arbeiten. Das ist nur der äußere Schein. Wenn man nachfragt, sagen sie, dass sie das für ihr Publikum tun, das ein Bedürfnis nach magischen Darbietungen hat. Auf diese Weise wird der Heilerfolg verstärkt. Doch ihre eigentliche Arbeit muss immer äußerst spontan sein, weil sie mit einer Welt in Berührung kommen, die nicht unseren Zeitmaßstäben unterliegt. Die Geister, mit denen sie es in einer anderen Wirklichkeit zu tun bekommen, sind unberechenbar.
Eine Schule des Augenblicks lehrt, die lebendige Wirklichkeit durch einen Moment der Geistesgegenwart zu erhaschen. Die Grundlage des Trainings basiert auf der Fähigkeit und Schulung, in jedem → Augenblick achtsam zu sein und die → Aufmerksamkeit bis an ihre Grenzen auszudehnen. Eine Zen-Geschichte (→ Zen) illustriert dieses Thema eindrücklich:

„Zen-Schüler bleiben mindestens zehn Jahre lang bei ihrem Meister, bevor sie es wagen können, andere zu belehren. Nan-in erhielt Besuch von Tenno, der, nachdem er seine Lehrzeit hinter sich gebracht hatte, ein Lehrer geworden war. Der Tag versprach regnerisch zu werden, darum trug Tenno Holzschuhe und hatte einen Regenschirm bei sich. Nachdem Nan-in ihn begrüßt hatte, bemerkte er: ‚Ich nehme an, du hast deine Holzschuhe im Vorraum gelassen. Ich möchte gerne wissen, ob dein Regenschirm rechts oder links von den Holzschuhen steht.’ Tenno wusste in seiner Verwirrung keine sofortige Antwort zu geben. Er erkannte, dass er nicht in der Lage war, seine Aufmerksamkeit in jeder Minute bei sich zu haben und studierte weitere sechs Jahre bei Nan-in.“ (D.T. → Suzuki 1987)

Von vielen Zen-Meistern werden vergleichbare Anekdoten überliefert. Ein Zen-Meister, in dessen Raum es durch das undichte Dach regnete, rief seinen Aufwärtern zu, sie sollten ihm etwas bringen, womit man die Strohmatten trocken halten könne. Einer von ihnen brachte ohne einen Augenblick des Zögerns einen Bambuskorb, während der andere überall nach einem festen Zuber suchte. Der Meister, so wurde überliefert, war hoch erfreut über den Mönch, der den Korb brachte. Er hatte den Zen-Geist erfasst … Dies nennt man im Zen „Nichtunterscheidung“. Es geht in diesem Beispiel eben nicht um den richtigen Eimer, sondern vielmehr um die spontane Richtigkeit.
Als Meistern des Augenblicks geht es den Zen-Meistern bei der Schulung nicht so sehr darum, den Schüler tagelang meditieren oder → Koans (paradoxe Lehrsätze) lösen zu lassen, sondern die Aufmerksamkeit des Schülers in jedem Augenblick so wach zu halten, dass er eine Entscheidung treffen kann, die gerade richtig ist, oder eine spontane Erkenntnis gewinnt – auch wenn sie in einem anderen Moment falsch sein kann. Koans sind auch Übungen darin, bei alltäglichen Verrichtungen einen Teil der inneren Aufmerksamkeit wach zu halten. Spontane Erkenntnisse können bei jeder Gelegenheit auftreten, der Adept muss nur fähig sein, diese Erleuchtung oder die Intuition im gegebenen Moment wahrzunehmen.
Es gibt viele überlieferte Koans, doch ein wirklicher Meister wird seine eigenen „erfinden“. Diese Fähigkeit wird z.B. in der Zen-Malerei ausgedrückt. „Kein Zögern ist erlaubt, kein Löschen, kein Nachziehen, kein Retuschieren, kein Neugestalten … Einmal gezogen, stehen die Linien ein für allemal unverrückbar fest. Die Inspiration ist etwas Spontanes, Absolutes, Augenblickliches …“ (D.T. Suzuki 1991, 123). Eine Schule des Augenblicks nimmt je nach Bedarf eine neue Form an, sie hat keine formale Methode und kein festes Lehrgebäude. Natürlich benötigt jedes Training, sei es in einer Gruppe, einer Gemeinschaft oder in einem Kloster, eine gewisse äußere Struktur, doch wenn sie im Kern die Geistesgegenwart der Schüler ausbilden will, dann muss man damit rechnen, dass die tägliche Routine immer wieder durchbrochen wird. In einer Schule des Augenblicks sind die Dinge deshalb nie so, wie sie scheinen.

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